Fritzi Porz

Antimediale Robinsonade. 9/11

1995. Ich schwänze eine Seminarsitzung von Robert Stockhammer - Robinsonaden. Dafür lese ich eine von Bernd Mattheus herausgegebene Schrift Antonin Artauds: Mexico. Les Tarahumaras.

Ein paar Monate später reise ich nach Mexico. Nach einigen Wochen erreiche ich ein Dorf. Hier sollen brujas und brujos leben. Sofort am ersten Abend begegnet mir so eine bruja. Sie spricht mich an und ruft: !Limpia, Limpia!. Klein ist sie, wurzelig, faltig und beeindruckend. Sie tritt ein paar Schritte zurück, lächelt. Verabredung für den frühen Abend! Angst kriecht in mir hoch, ich gehe nicht hin. Schnell bereue ich diese Dummheit. Tagelang durchstreife ich die Strassen, Gassen, Felder, Parks, Marktplätzchen um sie wieder zu finden. Dann endlich! Ich rufe: !Limpia, Limpia! Ich fuchtele mit meinen Händen herum. Ich trete ein paar Schritte zurück, lächele...Verabredung für den frühen Abend! Ich bereite mich vor: Notizbüchlein. Fotoapparat. Gedanken machen. überpünktlich bin ich! Drei lange Stunden warte ich immer noch - la bruja kommt nicht.

Was für eine Reinigung! Das eine wurde mit dem anderen aufgehoben! Ich war gereinigt, ohne Peyote, Hühnern, Federn, Verbranntem.....aber Ciguri - Mythos des Wiederbeginns (Artaud)! Lieber wollte ich wieder anfangen Gewebe zu texten, Netze weben, Zellen - besser gesagt Knötchen - abstrahieren, endlich. Da war schon jahrelanges Rauschen in Texturen. Ein paar ganze Stapel warteten auf mich! Ich flog zurück nach Berlin.

1996. Ich schreibe. Ich lese. Und verliebte mich. Ich will trotzdem nach Paris... er will meine Texte herausgeben. Kurz vorher verschwindet er... er verschwindet einfach, drei Wochen vorher! Jetzt muss ich nach Paris. Dann, eines Tages ruft er mich dort an. Gesteht, dass er meine Texte verbrannt hatte, in so einem Anfall von Wut. Er hatte alles von mir - meine Textur die Repräsentation von mir - er nahm meine Texte wie einen Fetisch - streifte sie von sich Hautschicht Schicht um Schicht - verbrannt ----------------

Es ging um meine Metamorphose jetzt, für totale Aufrichtung meines Seins, meine Auferstehung: Ich bin Mattheus dankbar für diesen Satz über Artaud. Kann man durch eine Niederlage triumphieren? Artaud konnte es. Er trat heraus, nicht ein. Ich ebenso, Austritt aus dem Gewebe, es ekelte mich an. Kann man Gewebe töten und es auslöschen? Die Textur komplett löschen? Er-Innerung auskippen? Das Rauschen still halten? Ich warf den Rest (einen Meter Textgewebe) weg: Lieber will ich unverständlich sein, als ungenau: Danke Bataille! Ich warf einfach alles weg.

Es ist überhaupt das Wesen des Opfers, Leben und Tod in Übereinstimmung zu bringen. Wir wissen doch um die Reaktion, die mit den Elementen des Opfers als Schauspiel verbunden [sind]: nämlich den Ekel (Bataille). Für mich ist es umgekehrt: erstens Ekel, zweitens Ritualopfer, drittens Transformation des Ekels (was nichts anderes ist, als Abgespaltenes) in ein Ganzes.

2001. In Tansania interviewte ich einen iloibonok. Es war in einem isolierten Dorf. Ich weiß noch diese Nacht, Rückkehr nach Morogoro, Molels Vatersbrudersohn besuchte mich. There was a bombing on the World Trade Centers. A few days ago. Er schleppte mich zu einer Bar mit Fernseher. CNN Kanal. Da sah ich es. Wir liefen zurück zum Hotel über staubige Straßen, er brachte mich sicher heim, ich trank ein Bier im Zimmerchen und fühlte mich einsam. Ich weiß gar nicht was Deleuze meint mit Rhizom, ein medizinischer Begriff, vernetzte Organe? Kann er auch Organe gemeint haben, vernetzt mit Technik? Bilderformen? Eine Umwelt wird nur dann vollständig sichtbar, wenn sie von einer neuen abgelöst wird. Neuprogrammierung. Als es passierte, saßen alle vor den medialen Stammestrommeln. Tagelang wusste ich nicht, dass es passiert war. In diesem Dorf ohne Strom, ohne fließendes Wasser, ohne Radio. Es machte mir nichts aus, im Gegenteil, es bewies, dass ich weit weg gewesen war, an einem der folgenreichsten historischen Ereignisse des letzten Jahrhunderts - das ist wohl nicht übertrieben. Die ethnologische Sehnsucht nach Isolation war ganz real gewesen! Meine antimediale Robinsonade. Als ich zurück kam, war die Welt eine neue. Vielleicht wussten die Dorfbewohner es schon? Vielleicht hatten sie mir auch einfach nichts gesagt? Der iloibonok ist nachts in meinen Träumen vorgedrungen, so wie er es mir gesagt hatte. You will have a good live!

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My informants & me. The day after 9/11.

2011. Alles war lange im Verborgenen - archäologisch. So was wie eine neolithische Textur. Mein damaliger Freund besuchte mich. Er war ein hysterisch-mediales Huhn. Ich war ein medialer Freitag. Gewebe kann töten - Pour Ciguri.

Eine Entgegnung auf Eckhard Hammels Text "10.000 Tage"